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Entsättigung

Um die Sättigung der Kompartimente mit Inertgasen brauchen wir uns weiter keine Gedanken zu machen. Je schneller und / oder tiefer wir abtauchen, desto schneller sättigen alle Kompartimente im Rahmen der in Gl.(1) bis Gl.(4) beschriebenen Zusammenhänge mit Inertgas auf. 

Umgekehrt gilt dieser Fall natürlich auch. Je schneller die Druckentlastung geschieht, desto schneller entsättigen die Kompartimente theoretisch wieder. Und genau darin liegt das Problem beim Auftauchen. 
In der Praxis darf die Druckentlastung nur ganz langsam geschehen (bis zu <10 m/min Aufstiegsgeschwindigkeit auf den oberen 10 Metern).
Überschreitet die Druckentlastung, die zur Entsättigung führt ein bestimmtes Maß, droht das Gleiche wie bei einer Sprudelflasche, die zu schnell geöffnet wird. Es kommt zu massiver Blasenbildung, da in der Sprudelflasche C02mit einem Druck von rund 3,5 bar in Lösung ist. 
Im Falle eines Tauchers entspräche das der Gewebesättigung mit Inertgas auf einer Tiefe von 25 Metern (die spezifische Löslichkeit von Inertgasen in unterschiedlichen Geweben, z. B. Wasser oder Fett, bleibt hier unberücksichtigt). 
Aus Erfahrung wissen wir jedoch, dass das unkontrollierte Ausperlen von C02 beim Öffnen der Sprudelflasche durch langsames Öffnen, d. h. langsame Druckentlastung, kontrolliert werden kann. 

Diese Erfahrung gilt es nun auf das Modell der Sättigung und Entsättigung von Kompartimenten zu übertragen. 
Perfusionsmodelle beschäftigen sich nur mit Inertgasen in gelöster Form. Beim Auftauchen stellt sich die Frage, wie viel Druckentlastung ein bestimmtes Kompartiment verträgt, ohne dass das gelöste Inertgas ausperlt und Blasen einer solchen Größe bildet, dass Symptome einer Dekompressionskrankheit (DCS) auftreten.

Übersättigungstoleranz

Grundsätzlich funktioniert die Entsättigung dadurch, dass jedes Kompartiment einen bestimmten Inertgasüberdruck toleriert. Es kommt also nicht schon bei geringer Druckentlastung zu einem unkontrollierten Ausperlen von Inertgasen. Dieser tolerierte Inertgasüberdruck in einem Kompartiment wird als Übersättigungstoleranz eines Kompartimentes bezeichnet. 

Hier tritt eine zweite Eigenschaft von Kompartimenten auf: Kompartimente haben unterschiedliche Übersättigungstoleranzen. 
Glücklicherweise haben die Kompartimente mit kurzer Halbwertszeit eine deutlich höhere Toleranz gegenüber Inertgasüberdruck. Mit zunehmender Halbwertszeit nimmt die Übersättigungstoleranz ab.

Nun geht es also darum, diese Übersättigungstoleranz zu ermitteln. 
Bühlmann verwendet dazu die sog. Koeffizienten a und b, die mit den Halbwertszeiten mathematisch nach Gl. (5) verknüpft sind.
Ob man direkt zur Oberfläche aufsteigen kann, hängt vom Umgebungsdruck und dem Inertgasdruck in den Kompartimenten ab.
Workman und Bühlmann haben festgestellt, dass es einen linearen Zusammenhang zwischen dem Umgebungsdruck und dem toleriertem Inertgasdruck im Gewebe gibt. Diesen Zusammenhang drückt Bühlmann mathematisch so aus:

p_{t.tol}=p_{amb}*\frac {1}{b}+a (5) 
p_{t.tol} = tolerierter Inertgasdruck für ein Gewebe

 p_{t.tol} entspricht bei Workman dem M-Value.

Man kann die Gleichung auch so umformen, dass damit der tolerierte Umgebungsdruck in Abhängigkeit vom aktuellen Gewebeinertgasdruck berechnet werden kann. In der praktischen Anwendung beantwortet das die Frage, wie weit man in Abhängigkeit vom Tauchgangsprofil aufsteigen darf, da sich das Tauchgangsprofil in p (dem Inertgasdruck der jeweiligen Kompartimente) manifestiert.

p_{amb.tol}=\left(p-a\right)*b (6)
p_{amb.tol} = tolerierter Umgebungsdruck für ein Gewebe

Die Koeffizienten a und b wurden ursprünglich empirisch in Versuchsreihen ermittelt. Auf der Suche nach einer mathematischen Ableitung der Koeffizienten a und b aus der Formel der linearen Beziehung zwischen Umgebungsdruck und Inertgasüberdruck in den Geweben erhielt man folgende Lösung:

a=2bar*\tau^{-\frac{1}{3}} (7)
b=1,005- \tau^{-\frac{1}{2}} (8)

\tau ist die Halbwertszeit der jeweiligen Kompartimente für ein bestimmtes Inertgas in Minuten.
Der Koeffizient a ist abhängig von der Druckeinheit, in diesem Dokument wird die Einheit bar verwendet.
Koeffizient b ist dimensionslos und gibt die Steigung der Geraden und damit der Beziehung zwischen Umgebungsdruck und toleriertem Inertgasdruck an (s. Abb. 1).

Abbildung 1 Lineare Beziehung zwischen Umgebungsdruck und toleriertem Kompartimentinertgasdruck für ausgewählte Kompartimente

Die Koeffizienten a und b werden entsprechend der Modelle ZH-L16A bis C für die einzelnen Kompartimente in Tab. 1 aufgelistet.

Kompartiment HWZ Koeff. a Koeff. b
ZH-L16A
theoretisch
ZH-L16B ZH-L16C
1 4,0 1,2600
1,2600
1,2600 0,5050
2 8,0 1,0001 1,0001 1,0001 0,6514
3 12,5 0,8618 0,8618 0,8618 0,7222
4 18,5 0,7563
0,7563 0,7562 0,7725
5 27,0 0,6667 0,6667 0,6200 0,8125
6 38,3 0,5934 0,5600 0,5034 0,8434
7 54,3 0,5282 0,4947 0,4410 0,8693
8 77,0 0,4702 0,4500 0,4000 0,8910
9 109,0 0,4188 0,4188 0,3750 0,9092
10 146,0 0,3799 0,3799 0,3500 0,9222
11 187,0 0,3498 0,3498 0,3295 0,9319
12 239,0 0,3223 0,3223 0,3065 0,9403
13 305,0 0,2972 0,2850 0,2835 0,9477
14 390,0 0,2738 0,2738 0,2610 0,9544
15 498,0 0,2524 0,2524 0,2480 0,9602
16 635,0 0,2327 0,2327 0,2327
0,9653

 Tabelle 1: Kompartimentspezifische Koeffizienten für Stickstoff

 In Tab. 1 sind zeilenweise die 16 Kompartimente mit ihren jeweiligen Halbwertszeiten aufgeführt. Daneben finden sich drei Ausprägungen des Koeffizienten a. Der Grund für diese drei Ausprägungen wird im folgenden Kapitel erläutert. 
Rechts außen ist der Koeffizient b dargestellt. 
Die Koeffizienten sind kompartimentspezifisch und gelten in dieser Ausprägung nur für Stickstoff. Unterschiedliche Inertgase haben aufgrund ihrer unterschiedlichen Löslichkeit unterschiedliche Koeffizientenpaare.

Koeffizientenanpassung

Die Art der Entsättigung wird bei Bühlmann über die beiden Koeffizienten a und b gesteuert, die für alle Kompartimente empirisch ermittelt wurden. 
Bühlmann hat aber festgestellt, dass bei Kompartimenten oberhalb von 27 Minuten Halbwertszeit die Entsättigung anhand der „theoretischen“ Toleranzgrenzen etwas gestört sein kann, falls die Stickstoffabgabe über die Atmung während des Intervalls an der Oberfläche gestört wäre. Das äußerte sich in einem höheren Risiko von Symptomen der Dekompressionserkrankung. 
Das kann u. U. durch die Besetzung des Lungenfilters mit Stickstoffblasen und einem damit einhergehenden Rechts-Links-Shunt gegeben sein. 

Hinzu kommt nach dem Tauchgang eine geringere Durchblutung der Muskulatur aufgrund geringerer Arbeit und einer verminderten Entsättigung der Haut aufgrund der stärkeren Abkühlung. 
Haut und Muskulatur werden durch die Kompartimente 5 -12 repräsentiert. Aus diesem Grund fiel die Anpassung bei den a-Koeffizienten für diese Kompartimente auch am deutlichsten aus. 

Diese Erkenntnis führte zu zwei weiteren Sätzen von a-Koeffizienten, bei denen vor allem die Kompartimente 5 – 15 reduziert wurden. 

Insgesamt gibt es also die folgenden drei Ausprägungen: 
ZH-L16A – Theoretisch
ZH-L16B – Für die Berechnung von Tabellen
ZH-L16C – Für den Einsatz in Tauchcomputern

Eine Verringerung a-Koeffizienten verkürzt die Nullzeiten, der Tauchgang wird konservativer. Eine Erhöhung von a-Koeffizienten verkürzt die Dekompressionszeiten, der Tauchgang wird progressiver.